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Soziale Isolation

Vieles verändert sich bei der Aufnahme eines Pflegekindes in die eigene Familie. Die vorhandenen Prioritäten verschieben sich und das neue Familienmitglied benötigt unglaublich viel Aufmerksamkeit. Nur wenige Freundschaften im sozialen Umfeld halten die Aufnahme eines Pflegekindes aus. Bei einem Pflegekind mit FASD wird dies nochmals potenziert. Die von ihnen gezeigten Verhaltensauffälligkeiten sind teilweise sehr massiv. Kinder mit FASD weisen extreme Stimmungsschwankungen auf. Sie haben belastende Wutausbrüche, können zu verbalen Aggressionen neigen und Sachen zerstören. Ihr Erregungszustand ist höher als bei anderen Kindern und sie weisen eine niedrige Frustrationstoleranz auf. Kinder mit FASD „ecken“ an und zeigen grenzüberschreitende, distanzlose Verhaltensweisen. Sie können sich nicht an Regeln halten und haben einen enorm großen Bewegungsdrang. Gruppenkonstellationen jeder Art bereiten ihnen Schwierigkeiten und selbst in Kleinstgruppen treten Probleme der Interaktionsgestaltung auf. Sie haben Schwierigkeiten, Freundschaften aufrecht zu halten und zu pflegen.

 

Beispiel:

Unser Pflegesohn scheint oft nur die zwei Emotionen „ganz große Freude“ oder „Wut“ zu kennen. Diese beiden Emotionen können sich im Sekundentakt abwechseln und die eine, die andere ablösen. Alles an Gefühlswelt, was dazwischen liegt, die 80-95% die bei anderen Menschen den Großteil des Tages ausmachen, scheint er kaum wahrzunehmen. Ich weiß, dass er seine Gefühle nicht groß lenken kann, jedoch sind sie von außen ebenfalls kaum steuerbar. Im Alltag ist dies extrem anstrengend. Seine Frustrationstoleranz ist sehr gering, gelingt etwas nicht, wird etwas rumgeworfen oder er selbst wirft sich auf den Boden und schreit. Nach Unterstützung fragt er nicht, bieten wir diese an, ist er nur selten in der Lage, sie anzunehmen. 

Tylars Bedürfnisbefriedigung „muss“ sofort erfolgen, wahrscheinlich auf Grund seiner gestörten Impulskontrolle und seines schnellen Vergessens. Geschieht dies nicht, schreit er rum. 

Soziale Regeln versteht er nicht, er kann sie verbal wiedergeben, kann sie jedoch nicht abrufen oder sie auf neue Situationen übertragen. Lernt er ein anderes Kind kennen, ist dieses nach zwei Minuten sein „bester Freund“. Das Konzept einer Freundschaft ist ihm unverständlich. Erklärungen nimmt er nicht wahr. Aktivitäten in Gruppen sind sehr anstrengend für ihn. Er versucht sich anzupassen, zumeist leider ohne positive Erfolgserlebnisse. Er ist nicht in der Lage, sich an Regeln zu halten, auch wenn er es eigentlich möchte. Der Impuls, das Spiel Anderer zu unterbrechen und zu stören, scheint einfach zu groß.

 

Lebt man mit einem Kind mit FASD zusammen, stößt man oftmals auf Ablehnung oder Unverständnis der sozialen Umgebung. Eine Art schleichende, soziale Isolation macht sich breit. Den Pflegefamilien wird oftmals eine Form der Mitschuld am kindlichen Verhalten gegeben, denn entweder seien sie nicht konsequent genug oder viel zu einengend. Sie würden zu viel „Gewese“ um das Kind machen (https://neonzwerge.de/fasd-bei-pflegekindern/). 

 

Beispiel:

Wir versuchen oft, Außenstehenden die Situation zu erklären und ihnen nahe zu bringen, was mit Tylar „los ist“. Leider hören viele, auch Professionelle, gar nicht zu. „Wir sollten nicht alles auf die Diagnose FASD schieben“, denn auch unser Sohn muss sich an die bestehenden Regeln halten. Ja, das muss er, nur kann er es oft nicht … auch heute noch, nach vielen Gesprächen, steht im Zeugnis, dass er die Regeln kennt, sich aber nicht daran halten will. Die Mütter auf den Spielplätzen sind oft nett und sagen: „Das wird schon! Mein Kind war früher auch so!“ Die Frage, ob sie Alkohol in ihrer Schwangerschaft getrunken haben, lag mir schon oft auf der Zunge…und nein, es wächst sich nicht aus, leider. Ich gestehe, auch wir als Pflegeeltern, ecken damit oftmals an und gelangen in eine Außenseiterrolle.

 

Erziehungsschwierigkeiten werden vielen Eltern mit FASD-Kindern unterstellt und ja, wie sollte man mit einem sogenannten „erziehungsintensiven“ Kind auch keine Erziehungsschwierigkeiten haben? Wir geraten regelmäßig an unsere Grenzen. Ablehnung oder Unverständnis Anderer sind dabei wenig hilfreich, genauso wenig wie Sätze: „Aber ihr habt es doch so gewollt und dieses Kind bei euch aufgenommen!“, „Ihr bekommt doch Geld dafür!“ oder ein ganz beliebter Klassiker: „Dann gebt das Kind doch wieder zurück!“, na klar, nichts leichter als das!!!